Impuls für die adventliche Zeit
1. Advent
Das Heilige Jahr 2025 mit dem Motto „Pilger der Hoffnung“ gibt den Impuls für unsere vorweihnachtlichen meditativen Gedanken. Unterschiedliche Fensterbilder wollen uns in den vier Wochen vor dem Weihnachtsfest einladen, diese Tage bewusst zu erleben.
Tauet Himmel den Gerechten, Wolken regnet ihn herab“
Gerne wählen Flugreisende einen Fensterplatz aus, da von einem Flugzeug aus die Welt von oben noch interessanter wirkt oder manches auch neu entdeckt wird. Besonders Wälder, Flüsse, Meere und Gebirge oder auch Wüstengebiete lassen sich gut erkennen. Manchmal sind auch enttäuschte Gesichter zu sehen, wenn eine dichte Wolkenschicht den Blick auf die Erde nicht möglich macht. Allerdings bieten auch die Wolkenformationen wunderschöne Bilder, denn wir sehen im Alltag die Wolken aus einer ganz anderen Perspektive. Eine scheinbar endlos wirkende Wolkendecke lässt nur erahnen, über welche Länder das Flugzeug sich bewegt. Der Blick aus dem Fenster kann sich über das von der Sonne beleuchtete Wolkenmeer erfreuen.
Ein sehr wohl bekanntes adventliches Lied, das in mehreren textlichen Fassungen vorliegt, beginnt mit der flehentlichen Bitte: „Tauet, Himmel, den Gerechten, Wolken regnet ihn herab!“ Hier wird ein Vers aus dem Buch des Propheten Jesaja übernommen: „Taut, ihr Himmel, von oben, / ihr Wolken, lasst Gerechtigkeit regnen! Die Erde tue sich auf und bringe das Heil hervor, / sie lasse Gerechtigkeit sprießen. / Ich, der HERR, erschaffe es.“ (Jesaja 45,8) Mit dieser Bitte an Gott, dem Herrn, wird an das Volk Israel erinnert, das sich in babylonischer Gefangenschaft befindet und sehnsüchtig die Rückführung in das verheißene Land erwartet. Jesaja sagt hier keine Zukunft voraus, sondern interpretiert die augenblickliche Realität des Volkes als Geschichte Gottes mit seinem Volk. Dazu erwählt sich der Herr den persischen König Kyros, der das Volk wieder in die Heimat entlässt und sogar den Tempelbau fördert. Damit ermutigt der Prophet das Volk und weist darauf hin, dass Gott im Sinne des Volkes handelt durch Menschen, von denen man es nicht erwartet. Dahinter steckt auch die Mahnung, niemals zu klein von Gott zu denken, der in seiner Allmacht von Anbeginn alles in seiner Hand hat.
Im Buch Hiob fragt der Mensch nach dem Sinn des Lebens im Leid. Gott aber fragt zurück, wo denn der Mensch war, als er alles geformt hat und mit Wolken kleidete? Wer über die gesamte Schöpfung verfügt, der kleidet sich selbst in eine Wolke, aus der er seine Stimme hören lässt.
Wohl schon immer haben Wolken die Menschen begeistert und fasziniert, wenn sie die unterschiedlichen Wolkenformationen betrachteten. Sicher wird damit die Ungreifbarkeit verbunden, obwohl starker Regen, Hagel oder Schnee verheerende Ereignisse sein können. Dann aber verwenden wir das Wort „Wolke“, um das Leben wie in Watte gepackt wahrzunehmen. Wenn die Wolken die Sicht auf den Himmel nehmen, dann wissen wir dennoch um das scheinbar Verborgene, wie die Sonne oder den Mond und die Sterne in der Nacht. Wolken verbinden unser Denken mit einem himmlischen Geheimnis und religiösen Empfindungen unabhängig von allen Glaubensüberzeugungen.
Der Advent richtet unseren Blick auf das letzte Buch der Heiligen Schrift: auf die Offenbarung des Johannes. Es wird eine Wolke sein, auf der der wiederkommende Herr bei der Vollendung der Welt erscheinen wird. Die gesamte Heilig Schrift ist von einer Wolken-Symbolik durchzogen und bezeichnet Nähe und Gegenwart oder den Ort des Göttlichen. Alle göttlichen Erscheinungen werden daher mit einer lichtvollen Wolke begleitet. Alle Texte und bildlichen Vorstellungen führen uns zum Zentrum der biblischen Wolken-Symbolik. Gott – Goethe nennt es „das Wahre“ – kann nicht unmittelbar oder unverhüllt geschaut werden. Erst mit der Wiederkunft des Herrn wird die unverhüllte Wahrheit von Angesicht zu Angesicht möglich sein.
Mit diesen sehr kompakten Gedanken will ich Sie ermutigen, sich in der adventlichen Zeit Räume der persönlichen Ruhe zu schaffen, in denen es Ihnen möglich ist, sich mit gewohnten Bildern und Texten des Advents auseinanderzusetzen und ihre Botschaft zu entdecken. Dabei werden diese verborgenen und bekannten Bilder sehr lebendig werden und anregen, den Advent aus unterschiedlichen Perspektiven wahrzunehmen. Ein Besuch in einer Kirche und warum nicht – auch eines Weihnachtsmarktes – wird Überraschungen bringen!
Eine gesegnete adventliche Zeit!
Ihr Bernhard Stühler, Pfarrer